Was nach dem Kanzler-Rücktritt in Österreich passieren kann
Als der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann von der SPÖ am Montagmittag seinen Rücktritt als Partei- und Regierungschef bekanntgab, war ihm wohl klar, dass die österreichische Bundespolitik nur noch unübersichtlicher werden würde. Ist die Regierung aus SPÖ und ÖVP jetzt noch handlungsfähig? Und welche Auswirkungen hat die Stichwahl zum Bundespräsidenten am 22. Mai? Eine Analyse.
Das ist die Vorgeschichte
Bereits seit Monaten gibt es in der SPÖ-ÖVP-Regierung in Wien Meinungsverschiedenheiten — insbesondere in der Flüchtlingspolitik. Während die ÖVP als konservativer Juniorpartner bereits länger für einen restriktiven Umgang mit Flüchtlingsmigration (also Kontingente oder Sozialleistungskürzungen) einsteht, traten Werner Faymann und der linke Flügel der österreichischen Sozialdemokraten lange als Unterstützer der sogenannten ‘europäischen Lösung der Flüchtlingsfrage’ von Angela Merkel und der EU-Kommission auf. Maßgeblich durch den Druck der FPÖ wich die Regierung Faymann aber nach und nach von diesem Kurs ab. Die Zustimmungswerte der SPÖ hatten durch den flüchtlingsunterstützenden Gesamtkurs aber längst gelitten. Nachdem der geringe Zuspruch jüngt dazu geführt hatte, dass der SPÖ-Kandidat Rudolf Hundstorfer bei der Wahl zum Bundespräsidenten nur etwa elf Prozentpunkte erhielt, galt Faymann als angezählt. Nach internen Machtkämpfen stellte der Kanzler nun also seine Ämter zur Verfügung.
Was passiert jetzt?
Szenario 1
Als neuen Kanzler beruft die SPÖ einen konservativer eingestellten Parteivertreter. Darauf würde sich wohl auch die ÖVP einlassen, ohne die Personalpolitik der Koalitionskollegen sonderlich zu torpedieren. Immerhin hätte die konservative Partei auf mittlere Sicht einen Regierungschef, um die eigene Agenda besser zu verwirklichen. Ob eine solche Personalie jedoch durch den Bundesparteivostand der Sozialdemkraten käme, ist fraglich. Die SPÖ würde mit diesem Schritt ihr Profil gegenüber der ÖVP und der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) aufgeben und die eigenen Stammwähler abschrecken. Allerdings würde der Schritt wenigstens die Angriffsflächen nach außen minimieren.
Heißt konkret: eine Abkehr vom rigiden Flucht-Abschottungskurs wird unwahrscheinlich, die FPÖ würde in ihren Forderungen bestätigt werden
Wahrscheinlichkeit: eher gering, da sich die SPÖ von einer Zwickmühle in die nächste manövrieren würde
Szenario 2
Die SPÖ entscheidet sich für einen sozial-progressiveren Parteivertreter im Kanzleramt, der auch wieder mehr die ursprüngliche Parteilinie verfolgt. In diesem Fall würde der Koalitionspartner ÖVP wohl auf Konfrontation setzen und das gleiche Spiel durchziehen, das schon Faymann stückweise geschwächt hatte, bis dieser schließlich aufgab. Je nachdem, wie stark sich der Kanzler oder die Kanzlerin präsentiert, würde sich die Regierung wohl irgendwie bis zur nächsten Nationalratswahl in zwei Jahren retten.
Heißt konkret: wenig politischer Fortschritt in Österreich, weiterhin Gezänk zwischen den Regierungsparteien
Wahrscheinlichkeit: aufgrund der Kräfteverhältnisse in der SPÖ eine wahrscheinliche Variante
Szenario 3
Gleiche Ausgangslage, diesmal aber mit anderen Kräfteverhältnissen: Ein sozial-progressiver Kanzler übernimmt die Geschäfte am Ballhausplatz in Wien, in die Hofburg zieht FPÖ-Mann Norbert Hofer als neuer Bundespräsident ein. In diesem Augenblick wird die ÖVP zur großen Unbekannten, die wegen eigener Parteiquerelen nur schwer auszurechnen ist. Angesichts eigener, schlechter Umfragewerte ist es durchaus denkbar, dass die ÖVP die Koalition aufkündigt, sollte die SPÖ nicht rigide genug auf ÖVP-Linie einschwenken. In diesem Fall würde Bundespräsident Hofer (wie bereits angekündigt) Neuwahlen ansetzen, damit die Stimmenverhältnisse im Nationalrat durcheinanderwürfeln und die Altparteien zugunsten der FPÖ schwächen.
Heißt konkret: Die FPÖ würde mit rund 35 Prozent stärkste Partei in Österreich, die beiden Volksparteien SPÖ und ÖVP bekämen mit jeweils etwa 22–24 Prozent keine Mehrheit mehr zusammen. Denkbar, dass die ÖVP Heinz-Christian Strache (FPÖ) zum Bundeskanzler wählen würde.
Wahrscheinlichkeit: denkbar, weil ÖVP und FPÖ im Bund und in den Ländern bereits zusammengearbeitet haben
Titelbild: CC BY-SA 2.0
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