Die zwei­te Stamm­stre­cke ist ein unwirt­schaft­li­ches Pres­ti­ge­pro­jekt

Die zwei­te Stamm­stre­cke ist ein unwirt­schaft­li­ches Pres­ti­ge­pro­jekt

Heldmann_InterviewOrts­ter­min in Haid­hau­sen. Bereits im Jahr 2005 hat sich hier eine Bür­ger­ini­ta­tive gegen die zwei­te Stamm­stre­cke der Münch­ner S-Bahn for­miert. Ich bin bei Wal­ter Held­mann zu Gast, einem Vor­stand der S-Bahn­geg­ner des Stadt­teils. Wir reden in sei­nem Arbeits- und Musik­zim­mer, neben einem schwar­zen Kla­vier, Rega­len mit Ord­nern und sei­nem PC. Auf dem Bild­schirm hat er die Bau­pläne der Bahn für den Ver­lauf im Münch­ner Osten bereits geöff­net.


Herr Held­mann, Sie ver­tre­ten mit Ihrer Bür­ger­in­itia­tive die Inter­es­sen der Haid­hau­ser Bür­ger. Wie sind die denn über­haupt von den Plä­nen einer zwei­ten Stamm­stre­cke betrof­fen?

Naja, die Plä­ne bedeu­ten, dass, wenn das Pro­jekt rea­li­siert wird – was ja noch frag­lich ist – die Haid­hau­ser dann für die nächs­ten zehn Jah­re auf einer rie­si­gen Bau­stelle leben müs­sen und dana­ch kei­nen Nut­zen und Vor­teil von dem neu­en Tun­nel haben wer­den. Wie übri­gens alle Münch­ner.

Sie mei­nen, das teu­re Groß­pro­jekt wür­de sich für Mün­chen gar nicht loh­nen?

Es gibt Gut­ach­ten, die zei­gen, dass das Pro­jekt unwirt­schaft­lich ist. Unwirt­schaft­lich heißt, dass die Fahr­zeit der S-Bahn der 800 000 Benut­zer täg­lich mit dem zwei­ten Tun­nel nicht kür­zer wird, son­dern län­ger. Und zwar des­halb, weil die meis­ten, die umstei­gen müs­sen, län­gere Umstei­ge­wege haben. Wenn man die Fahr­zeit dann noch­mal aus­rech­net, stellt man mit Über­ra­schung fest, dass, wenn der Tun­nel so gebaut wird, wie der­zeit geplant, die Münch­ner täg­lich unge­fähr 700 000 Minu­ten län­ger in der S-Bahn sit­zen. Dar­aus folgt, dass das nicht wirt­schaft­lich ist. Und ein unwirt­schaft­li­ches Pro­jekt darf nicht mit För­der­gel­dern des Bun­des sub­ven­tio­niert wer­den.

Eine zwei­te Röh­re bringt eben kei­ne Vor­teile – des­halb sind wir für eine ande­re Lösung”

Sie wol­len den Tun­nel­bau unter­halb Ihres Vier­tels mit allen Mit­teln ver­hin­dern, was?

Es heißt in der Debat­te immer schnell ‘Die Haid­hau­ser sind dage­gen’. Wir set­zen uns aber schon für eine Ver­bes­se­rung der S-Bahn ein und sind auf jeden Fall dafür, dass eine zwei­te Stamm­stre­cke gebaut wird. Nur bringt eine zwei­te Röh­re eben kei­ne Vor­teile. Einen Vor­teil hät­ten die Fahr­gäste dann, wenn die Situa­tion ver­bes­sert wür­de. Zum Bei­spiel dadurch, dass die Züge pünkt­li­cher fah­ren, als sie das heu­te tun und die Fahr­gäste schnel­ler zu ihrem Ziel kom­men. Wir haben aber fest­ge­stellt, dass weder das eine, noch das ande­re zutrifft. Im Gegen­teil: Die Fahr­zei­ten wer­den dadurch sogar län­ger. Wir sind des­halb für eine ande­re Lösung.

Die da wäre?

Nun ja, der bekann­teste Vor­schlag ist der soge­nannte Süd­ring, die Süd­um­fah­rung der Eisen­bahn, die heu­te schon exis­tiert. Das war übri­gens zunächst mal auch der Plan der Stadt in den 90er-Jah­ren, seit man über die zwei­te S-Bahn­stre­cke redet. Auf einer sehr frag­wür­di­gen Grund­lage wur­de dann aber 2001 ent­schie­den, dass man den Tun­nel baut. Damals mein­te man, dass der Tun­nel auch nicht viel teu­rer käme als der Süd­ring. Mitt­ler­weile weiß man aber, dass der Tun­nel etwa das Sechs­fa­che von dem kos­ten wird, als ursprüng­lich geplant.

Wäre der Süd­ring nicht schon damals güns­ti­ger und schnel­ler zu bau­en gewe­sen?

Wie gesagt, damals lagen die geschätz­ten Kos­ten gleich­auf. Des­halb hat­te man gesagt ‘Wir bau­en einen Tun­nel, damit haben wir dann weni­ger Pro­bleme’. Zumin­dest hat­ten die Ver­ant­wort­li­chen das gemeint.

Man macht eine opti­mis­ti­sche Kos­ten­schät­zung und stellt dann fest, dass es teu­rer wird”

Für einen Süd­ring müss­te aber doch kaum mehr gemacht wer­den, als zwei Bahn­höfe an der Poc­ci­straße und am Kolum­bus­platz zu bau­en. Wie kann dann eine kilo­me­ter­lange, unter­ir­di­sche Röh­re genauso viel kos­ten?

Es wur­de eigent­lich das gemacht, was bei all die­sen Groß­pro­jek­ten pas­siert. Zunächst ein­mal macht man eine recht opti­mis­ti­sche Kos­ten­schät­zung, um das Pro­jekt über­haupt durch­zu­krie­gen. Und dann stellt man im Lau­fe der Pla­nun­gen fest, dass es teu­rer wird. Bei die­sem Tun­nel kam hin­zu, dass man ursprüng­lich fünf Sta­tio­nen pla­nen woll­te, dann mus­s­te man den Tun­nel auch noch auf 40 Meter tie­fer­le­gen. Dann hat man gemerkt, dass das alles zu teu­er kommt und plan­te nur noch drei Sta­tio­nen.

Die soge­nannte Express­stre­cke mit Ihren Sta­tio­nen Haupt­bahn­hof, Mari­en­hof und Ost­bahn­hof ist damit eine Mogel­pa­ckung, um irgend­wie im finan­zi­el­len Rah­men zu blei­ben?

Sie ist sozu­sa­gen eine Not­lö­sung, ein Expres­stakt mit nur drei Hal­ten in der Innen­stadt. Zunächst mal klingt das gut, weil die Leu­te mei­nen, ‘Express’ gin­ge schnel­ler. Aber das wird für vie­le erst ein­mal zu einer Ver­län­ge­rung der Fahr­zeit füh­ren, weil man so vie­le Roll­trep­pen fah­ren und even­tu­ell öfter umstei­gen muss.

Den­noch wird an der zwei­ten Stamm­stre­cke fest­ge­hal­ten. Ist sie mitt­ler­weile mehr Pres­ti­ge­pro­jekt als Ver­kehrs­kon­zept?

Die zwei­te Stamm­stre­cke ist ein Pres­ti­ge­pro­jekt. Irgend­wann ein­mal hat man davon gere­det, es wäre die größ­te Ver­kehrs­bau­stelle Deutsch­lands und war allein schon dar­auf stolz. Und nach­dem man inzwi­schen seit 14 Jah­ren bei die­sem Pro­jekt bestä­tigt, es wird gebaut, obwohl es unrea­lis­tisch ist, kann man schon sagen, dass das Pres­tige da jetzt eine gro­ße Rol­le spielt.

Über­all anders spielt sich das Ver­kehrs­ge­sche­hen sinn­vol­ler­weise auch nicht im Zen­trum ab”

Des­halb ver­zich­tet Mün­chen auf einen Süd­ring oder sogar auf einen gan­zen Stadt­ring, für den die Glei­se eben­falls schon da wären?

Die Ver­ant­wort­li­chen kön­nen natür­lich schwer von ihrer Ent­schei­dung zurück­tre­ten. Es sei denn, man gibt zu, das das Gan­ze ver­kehrs­po­li­tisch unsin­nig ist, zum Nach­teil der Benut­zer und dar­über hin­aus noch unwirt­schaft­lich. Ansons­ten hat Mün­chen die­ses fata­le, zen­trale Netz für die S-Bahn – sämt­li­che S-Bah­nen füh­ren mit­ten durch die Stadt, nur wol­len die meis­ten da gar nicht hin. So ein Ver­kehrs­netz wie hier, hat man viel­leicht in einer Klein­stadt, wo alle Ver­bin­dun­gen von Bahn­hof weg­ge­hen. Aber Sie brau­chen sich ja nur ein­mal umse­hen, wie das in Paris oder in Lon­don, ja in allen gro­ßen Städ­ten der Welt ist: Da spielt sich sinn­vol­ler­weise auch nicht das gan­ze Ver­kehrs­ge­sche­hen im Zen­trum ab.

Sie gehen jetzt aber nicht ernst­haft davon aus, dass sich Bahn und Poli­tik die Blö­ße geben wer­den, doch noch die zwei­te Stamm­stre­cke abzu­bla­sen oder?

Naja, in jedem Pro­jekt hat man doch einen Plan B. Und der ist ja in die­sem Fall so nahe­lie­gend. Der Süd­ring und spä­ter der Ring­schluss im Nor­den. Und als sich vor Jah­ren bereits die Teue­rung abzeich­nete, hät­te man den bloß aus der Schub­lade zie­hen müs­sen. Nur gab damals eben schon Inter­es­sen von Leu­ten, die den Tun­nel unbe­dingt bau­en woll­ten. Dass da zukünf­tig doch die Ver­nunft sie­gen wird, dar­auf soll­te man sich aber nicht ver­las­sen. Man kann da nur auf die finan­zi­elle Situa­tion hof­fen – falls das Pro­jekt noch teu­rer wer­den könn­te und die Bun­des­för­de­rung wegen der Unwirt­schaft­lich­keit weg­fällt.

 

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