Ver­spä­te­ter Sie­ges­zug durch Viet­nam

Ver­spä­te­ter Sie­ges­zug durch Viet­nam

Lan­ge hat er dann eigent­lich nicht gehal­ten, der Sie­ges­tau­mel von Viet­nams Kom­mu­nis­ten. Dabei muss der 30. April 1975 doch eine ech­te Genug­tu­ung für die viet­na­me­si­sche Volks­ar­mee gewe­sen sein. Der Tag, als sie mit ihren Pan­zern und Trans­port­las­tern vor dem gro­ßen wei­ßen Prä­si­den­ten­pa­last in Sai­gon ankam – unter dem Jubel der Bevöl­ke­rung, die ihre Befrei­er aus Nord­viet­nam fei­erte. Die Nach­fol­ger Ho Chi Minhs hat­ten da gera­de einen glanz­vol­len Sieg über den kapi­ta­lis­ti­schen Süd­en errun­gen — der bekannt­lich oben­drein von den USA unter­stützt wur­de.

Aller­dings blieb es nur bei einem Etap­pen­sieg. Mit gan­zer Über­zeu­gung star­tete zwar der Ver­such, auch im Süd­en den Sozia­lis­mus auf­zu­bauen. Die sozia­lis­ti­sche Nach­kriegs­wirt­schaft ent­wi­ckelte sich aber nur schlep­pend – auch weil die USA ein Embar­go über das Land ver­hängt hat­ten. Viet­nam droh­te, im inter­na­tio­na­len Ver­gleich zurück­zu­blei­ben. Bis zu dem Zeit­punkt, als die kom­mu­nis­ti­sche Regie­rung über ihren Schat­ten sprang und begann, ihren Mar­ken­kern auf­zu­lö­sen. Das Land öff­nete sich fort­an für aus­län­di­sche Inves­to­ren.

Und die kamen auch. Coca Cola füllt sei­ne Fla­schen seit 2004 auch in der Sozia­lis­ti­schen Repu­blik ab. An der süd­li­chen Küs­te des Lan­des fer­tigt der Medi­zin­tech­nik­kon­zern Fre­se­nius Infu­si­ons­beu­tel. Und im Süd­en von Ho Chi Minh-Stadt wer­den die neu­en Schuh­mo­delle von Adi­das und Nike zusam­men­ge­näht. Schein­bar haben sich die meis­ten Men­schen zwi­schen Hanoi und Ho Chi Minh-Stadt doch noch mit der Lebens­art des Klas­sen­fein­des ange­freun­det – zumin­dest wirt­schaft­li­ch.

Vie­len geht es spür­bar bes­ser als noch vor ein paar Jahr­zehn­ten. Die meis­ten kön­nen sich mitt­ler­weile ein Moped oder einen Fern­se­her leis­ten, ande­re auch schon ein eige­nes Auto“, sagt Mar­tin Groß­heim vom Lehr­stuhl für Süd­ost­asi­en­stu­dien an der Uni­ver­si­tät Pas­sau. Sei­nen Ein­druck belegt auch eine Stu­die des US-ame­ri­ka­ni­schen Mei­nungs­for­schungs­in­sti­tuts Pew Rese­arch Cen­ter. 95 Pro­zent der Viet­na­me­sen sind laut der Erhe­bung der Ansicht, dass es ihnen mit einer frei­en Markt­wirt­schaft bes­ser geht. Belieb­ter ist der Kapi­ta­lis­mus nir­gends.

Viet­nams Wirt­schafts­wun­der ist ein­drucks­voll

Ich glau­be, es ist wich­tig zu ver­ste­hen, dass es für einen Viet­na­me­sen ganz beson­ders wich­tig ist, sei­ne Fami­lie aus eige­ner Kraft zu ernäh­ren“, erklärt sich Mar­ko Wal­de, der Dele­gierte der Deut­schen Wirt­schaft in Viet­nam, die gro­ße Zustim­mung im Land. Qua­si ganz im ame­ri­ka­ni­schen Geist machen die Viet­na­me­sen sich an ihr eige­nes Wirt­schafts­wun­der.

Spe­zi­ell die Bilanz der letz­ten andert­halb Jahr­zehnte liest sich ein­drucks­voll. Seit­her hat sich das Brut­to­in­lands­pro­dukt Viet­nams mehr als ver­sechs­facht. Auch die Armuts­si­tua­tion hat sich stark ver­bes­sert: Vor etwas mehr als zwan­zig Jah­ren leb­ten fast 60 Pro­zent der Viet­na­me­sen noch unter­halb der Armuts­grenze von einem Dol­lar pro Tag – im ver­gan­ge­nen Jahr waren es weni­ger als zehn Pro­zent.

Teil­weise sorgt die kapi­ta­lis­ti­sche Poli­tik der sozia­lis­ti­schen Regie­rung sogar noch bes­ser für Chan­cen­gleich­heit als zum Bei­spiel die Nach­bar­de­mo­kra­tie Malay­sia. „Wenn Sie die Viet­na­me­sen dar­auf anspre­chen, ob sie sich in einer Demo­kra­tie leben woll­ten, wür­den die wenigs­ten sofort ja sagen“, ergänzt Wal­de. Der Erfolg recht­fer­tigt schein­bar sei­ne Mit­tel.

Die repres­sive Regie­rung erkauft sich Ruhe in Viet­nam

Denn ober­fläch­lich hat sich tat­säch­lich wenig an der der poli­ti­schen Struk­tur des Lan­des ver­än­dert. Noch immer ist die Kom­mu­nis­ti­sche Par­tei (KPV) des ehe­ma­li­gen Revo­lu­tio­närs Ho Chi Minh die ein­zige lega­le Par­tei des Lan­des. Sie wünscht kei­ne Kri­tik an ihrem poli­ti­schen Kurs von außen. Doch zumin­dest par­tei­in­tern geht es nicht mehr ganz dog­ma­tisch zu. In der KPV haben sich schon meh­rere Inter­es­sen­grup­pen her­aus­ge­bil­det, die libe­rale und pro­gres­si­vere Ide­en ver­fol­gen.

Die alte Gar­de um Minis­ter­prä­si­dent Nguy­en Tan Dung hat aber bis heu­te die Ober­hand behal­ten. Dass nicht all­zu vie­le Viet­na­me­sen auf­be­geh­ren, liegt wohl dar­an, dass der Auf­schwung bei der Mas­se ankommt und die sozia­le Unge­rech­tig­keit nicht spür­bar zuzu­neh­men scheint.

Doch auch die Art und Wei­se, wie die Bericht­er­stat­tung im Land funk­tio­niert, ist für den schein­bar rei­bungs­lo­sen Kapi­ta­lis­mus im kom­mu­nis­ti­schen Sys­tem mit­ver­ant­wort­lich. Anders als frü­her wird nicht mehr jeder ein­spal­tige Zei­tungs­ar­ti­kel und die klein­s­te Wirt­schafts­mel­dung im staat­li­chen Viet­nam TV vor­zen­siert. Den­noch geht alles, was berich­tet wird, im Nach­hin­ein über die Schreib­ti­sche der Regie­rung. „Es gibt zwar 25 Tages­zei­tun­gen in Viet­nam“, meint Mar­ko Wal­de, „aber am Ende haben die alle nur einen Chef­re­dak­teur.“ Noch immer ist die Medi­en­land­schaft in Staats­hand – auch um zu kaschie­ren, was im Land fal­sch läuft. Zum Bei­spiel, dass Kor­rup­tion in Viet­nam immer noch auf der Tages­ord­nung steht oder das Geflecht sei­ner unren­ta­blen Staats­be­triebe nur zöger­lich ent­wirrt wird.

Solan­ge Wachs­tum garan­tiert ist, läuft der Deal“

Wobei das nicht ganz rich­tig ist. In den ver­gan­ge­nen Jah­ren hat die viet­na­me­si­sche Regie­rung sehr wohl ver­sucht, staat­lich kon­trol­lierte Kon­zerne finan­zi­ell zu unter­stüt­zen, um sie auf dem frei­en Markt kon­kur­renz­fä­hig zu machen. Doch die Maß­nahme ent­wi­ckelte sich zum Rohr­kre­pie­rer. Eige­ne Feh­ler gestand sich die Staats­füh­rung aber nicht ein. Statt­des­sen roll­ten, mög­lichst öffent­lich­keits­wirk­sam, die Köp­fe eini­ger Unter­neh­mens­chefs. Der ehe­ma­lige Direk­tor der größ­ten staat­li­chen Ree­de­rei wur­de im Dezem­ber 2013 zum Tode ver­ur­teilt, der Mit­grün­der einer der größ­ten Ban­ken des Lan­des zu drei­ßig Jah­ren Haft. Außer­dem wur­de eini­gen Ban­kern wegen Kor­rup­tion oder Ver­un­treu­ung der Pro­zess gemacht. In der öffent­li­chen Dar­stel­lung unter­nimmt der Staat also sehr wohl etwas gegen Miss­wirt­schaft und Kor­rup­tion – auch wenn er selbst dar­an betei­ligt war.

In der Öffent­lich­keit neh­men die meis­ten Viet­na­me­sen die offi­zi­elle Ver­sion hin – auch weil ihnen die offe­ne, poli­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung meist unan­ge­nehm ist. „Im pri­va­ten Kreis spricht man aber natür­lich über die Miss­stände im Land“, weiß Mar­ko Wal­de aus eige­ner Erfah­rung. Mit­tel­fris­tig wird wohl viel davon abhän­gen, wie die Staats­be­triebe wett­be­werbs­fä­hig gemacht wer­den kön­nen. Gelingt der Schritt, wird Viet­nams Wirt­schaft vor­aus­sicht­lich wei­ter expan­die­ren und die Bevöl­ke­rung kei­ne offe­nen poli­ti­schen For­de­run­gen stel­len, glaubt Mar­tin Groß­heim. „Solan­ge die Regie­rung das Wachs­tum im Land garan­tie­ren kann, läuft der Deal.“

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